Das Märchen von der Christrose

Einsam ist die Blume, von der ich euch erzählen will. Sie kennt nicht die frohen Tage des Frühlings noch die duftreichen Nächte des Sommers. Keine flüsternden Gefährtinnen wachsen neben ihr auf, kein Vogel singt Sie in Träume. Und doch wächst die Christrose anmutig aus dem Kranze grüner Blätter empor. Still und stolz steht Sie in ihrer Kraft, denn Sie weiß, dass Sie die einzige Blume ist, die im Winter blühen darf. Was gab dir die Macht, die Kälte und den Sturm zu trotzen?

Es war einmal vor langer Zeit, da herrschte in Polen ein herzensguter König namens Wenzel. Für Ihn war klar: „Wer sein Volk gut regieren will, der muss es auch verstehen!“ Und so kam es nicht selten vor, dass er sich auf ausgedehnte Wanderungen begab, um Lebensumstände und Anliegen seines Volkes besser verstehen zu lernen. Nur an den hohen Feiertagen, hatte er meist Schwierigkeiten sich davon zu machen. Am Stefanitag aber konnte er sich von seinen Pflichten losreißen und machte einen ausgedehnten Streifzug durch sein Land. Trotz Schneegestöber und Eiseskälte bahnten sich König und Knappe unermüdlich ihren Weg durch die bitterkalte Winternacht. In einem kleinen Waldstück fanden sie schließlich Unterstand

“Sieh nur, Knappe, wer ist dieser arme alte Mann dort drüben? Er ist ganz in Lumpen gehüllt und scheint die paar Zweiglein einzusammeln, die der Sturm von den Bäumen gefegt hat!“ „Sire, der Alte wohnt drüben bei der Agnes Quelle auf der anderen Seite des Waldes. Man sagt er sei sehr arm. Hat kaum das Nötigste zu essen. Wenn die furchtbare Kälte den ganzen Winter über dauert, wird er wohl erfrieren…“„So geh und hol ihm zu Essen und zu Trinken. Repariert seine Hütte und schlichtet Holzscheite an die Hüttenwand. In meinem Königreich soll niemand erfrieren – nicht einmal ein armer alter Mann, der in seinem Leben sicherlich schon genügend gearbeitet hat!“ Als der König aufsah, bemerkte er, wie blau und gefroren auch das Gesicht seines Knappen wirkte. „Wie dumm von mir! In meiner Begeisterung habe ich gar nicht gemerkt, wie sehr du schon vor Kälte zitterst! Geh nur ganz dicht hinter mir, dann können dir weder die beißende Kälte noch der eisige Wind etwas anhaben. Sobald wir daheim sind, werde ich veranlassen, dass dem Alten geholfen wird. So stapften Sie zurück zum Königsschloss – voran der beherzte König, der wild entschlossen war, Gutes zu tun und dicht dahinter sein treuer Knappe, der sich zitternd vor Kelte kaum mehr auf den Beinen halten konnte.

Doch plötzlich wurde es dem Knappen seltsam warm ums Herz und er merkte, wie rund um ihn ein Wunder geschah. In den Fußstapfen des Königs begann der Schnee zu schmelzen und auch sein eigener Körper wurde nach und nach von einem wohligen Gefühl der Wärme erfüllt. Als er verwundert zu Boden sah, erblickte er voller Staunen eine wunderschöne weiße Blume die indes Königs Fußstapfen erblüht war. So viele Wunder auf einmal! Für den Knappen ist es offensichtlich, dass allein die Güte seines Herrn für dieses Wunder verantwortlich ist! Ohne noch weiter nachzugrübeln, grub er heimlich einige der weißen Blumen aus und nahm sie mit nach Hause, wo er sie einpflanzte und zu züchten begann. Sie sollten ihn sein Lebtag lang daran erinnern, dass es sich lohnt, Gutes zu tun. Und weil die wunderschöne weiße Blüte auch die restlichen Weihnachtsfeiertage nicht an Schönheit verlor, gab er ihr den Namen „Christrose“.